Wilfried Schultz - der Pate von Sankt Pauli
Wilfried Schulz: Vom gefürchteten Kiez-Paten zum vergessenen Boxpromoter
Das schlimmste Ende: Bedeutungslosigkeit nach Macht
Nichts ist schlimmer als der Absturz in die Bedeutungslosigkeit – besonders für einen Mann, der einst als eine der gefürchtetsten Respektspersonen auf St. Pauli galt. Wilfried Schulz, eine der schillerndsten und zugleich brutalsten Figuren der Hamburger Unterwelt, starb in den 1990er Jahren – vergessen, isoliert und ohne den Einfluss, den er einst genossen hatte.
Sein Name war einst Synonym für Macht, Geld und eiserne Kontrolle über den Kiez. Doch nach Jahrzehnten als unangefochtener Herrscher der Reeperbahn zerfiel sein Imperium. Der Mann, der St. Pauli zu einer Hochburg des organisierten Verbrechens gemacht hatte, wurde zu einem Schatten seiner selbst.
Herkunft und Aufstieg: Der Beginn einer Kiez-Ikone
Wilfried Schulz wurde 1928 in Hamburg geboren und wuchs in einem Umfeld auf, das von harten Sitten und einem rauen Straßenleben geprägt war. Seine Karriere begann in den 1960er Jahren als Bananenpacker im Hafen und später als Kellner auf dem Kiez. Doch schnell fand er seinen Weg ins Rotlichtmilieu, wo er durch eine Mischung aus Intelligenz, Charme und Kompromisslosigkeit einen gefürchteten Ruf erlangte.
Seinen ersten großen Coup landete er 1965, als er die Wiener Zuhälter aus St. Pauli vertrieb. Seine rechte Hand, „Dakota Uwe“, stach dem Chef der Österreicher siebenmal in den Allerwertesten – eine deutliche Botschaft an alle, die versuchten, sich in sein Territorium einzumischen.
Der Pate von St. Pauli: Macht, Respekt und Angst
In den 1970er Jahren war Schulz der unangefochtene Herrscher über die Reeperbahn. 23 Mal ermittelte die Polizei gegen ihn, doch jedes Verfahren endete mit einem Freispruch. Als „Pate von St. Pauli“ lenkte er das Geschäft mit der Prostitution und den Spielsalons. Seinen Spitznamen „Frieda“, inspiriert von einer nervigen Blumenverkäuferin, mochte er nicht.
Er führte mit Disziplin und Konsequenz, doch zeigte sich gegenüber seinen Geschäftspartnern und den Frauen im Milieu fair – solange sie sich an seine Regeln hielten. Wer sich ihm jedoch in den Weg stellte, musste mit harten Konsequenzen rechnen.
Eine seiner berühmtesten Auseinandersetzungen hatte er mit dem österreichischen Zuhälter „Wiener Peter“, der versuchte, sich in Hamburgs Rotlichtszene einzumischen. Schulz ließ ihn brutal zusammenschlagen – eine unmissverständliche Warnung. In einem legendären Gerichtsprozess, der auch in Dagobert Lindlaus Buch „Der Mob“ thematisiert wird, fragte der Richter das Opfer, wie es zu seinen Verletzungen gekommen sei. Die Antwort: „Ich bin ins Messer gefallen.“ Der Richter entgegnete trocken: „Siebenmal?“
Von der Reeperbahn nach Las Vegas: Das große Casinoprojekt
Schulz war nicht nur ein klassischer Kiez-Boss, sondern auch ein Mann mit Visionen. Durch seine guten Kontakte in die Casinowelt von Las Vegas träumte er davon, St. Pauli in eine Glücksspielmetropole nach amerikanischem Vorbild zu verwandeln. Sein Plan war, das Rotlichtviertel in eine legale Spielhölle mit Casinos, Nachtclubs und luxuriösen Etablissements umzuwandeln. Doch seine Ideen scheiterten an der Politik, der Polizei und letztlich an der Realität des deutschen Rechts.
Einfluss und Niedergang: Der Wandel auf dem Kiez
Ab den späten 1970er Jahren begann Schulz‘ Einfluss zu schwinden. Neue Gruppierungen wie die Nutella-Bande und die GmbH drängten auf den Kiez und veränderten die Dynamik des Milieus. Besonders Klaus Barkowsky, bekannt als „der schöne Klaus“ oder „Lamborghini-Klaus“, stieg als charismatischer Anführer der Nutella-Bande auf. Seine Geschichte wurde später in der Amazon-Serie „Luden“ verfilmt.
Barkowsky hatte nach seiner aktiven Zeit als Zuhälter eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen und gründete zusammen mit Claudia Tejeda, dem Reverend der Reeperbahn und Lars Möller den Künstlerkreis EWIG. Seine Werke, die die düsteren und glanzvollen Seiten von St. Pauli widerspiegeln, hängen heute im Erotic Art Museum.
Die gesellschaftlichen Veränderungen, darunter die Angst vor AIDS und der zunehmende Drogenhandel, beschleunigten den Umbruch. Schulz wollte mit dem neuen Geschäftsfeld Drogen nichts zu tun haben und zog sich langsam zurück.
Anfang der 1980er Jahre betrieb er zuletzt das Edelbordell „Café Cherie“ am Steindamm in St. Georg. 1983 wurde er wegen Steuerhinterziehung zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Als er freikam, war seine Zeit vorbei.
Die Boxkarriere: Vom Kiez in den Ring
Neben seinen Aktivitäten im Rotlichtmilieu engagierte sich Schulz in den 1970er Jahren verstärkt im Profiboxen. Er organisierte hochkarätige Kämpfe in renommierten Veranstaltungsorten wie der Ernst-Merck-Halle, der Sporthalle Hamburg und dem CCH.
Bekannte Boxer wie Lothar Abend, Frank Wissenbach und Karl-Heinz Klein traten auf seinen Events an. Besonders berühmt wurde die „Box-Gala ’77“, die nicht nur sportlich, sondern auch gesellschaftlich ein Ereignis war. Prominente Gäste wie Katja Ebstein und Roberto Blanco nahmen teil. Doch die Hamburger Justiz betrachtete die Veranstaltung kritisch und bezeichnete sie als „Treffen der Halbwelt“.
Trotzdem setzte Schulz weiterhin auf den Boxsport und bewies damit seine Vielseitigkeit und seinen Einfluss über das Milieu hinaus.
Die Legende von Wilfried „Frieda“ Schulz: Eine Hamburger Ikone
Trotz seines Falls bleibt Wilfried Schulz eine der bekanntesten Figuren des Hamburger Rotlichtviertels. Sein Name steht für eine Ära, in der strategisches Geschick, Kontrolle und Macht das Geschehen auf St. Pauli bestimmten. Anders als viele seiner Nachfolger setzte Schulz weniger auf rohe Gewalt, sondern auf Taktik und Diplomatie, um seine Position zu festigen.
Sein Einfluss reichte weit über das Milieu hinaus, besonders in die Boxszene, wo er sich als erfolgreicher Veranstalter etablierte. Sein eleganter Kleidungsstil – von gestreiften Anzügen über Krokodillederschuhe bis zur obligatorischen Zigarre – unterstrich seinen Status als charismatischer, aber gefährlicher Geschäftsmann.
Wilfried Schulz starb Anfang der 1990er Jahre an einem Krebsleiden. Seine Geschichte bleibt untrennbar mit St. Pauli verbunden – als eine der letzten großen Legenden des Kiezes.