Große Freiheit 43 – Kirche St. Joseph

An einem Oktobertag des Jahres 1845 nahm Madame Jeanne Rainville in der Großen Freiheit 43 für immer Abschied von ihrem Gatten César, dessen Sarg soeben in der Krypta der katholischen Kirche St. Joseph beigesetzt wurde. Hier sollte der Gründer des gleichnamigen Ausflugslokals seine ewige Ruhe finden – neben weiteren Prominenten wie Louis-Joseph de Montmorency-Laval, zu Lebzeiten immerhin Kardinal von Metz.

Die beiden Franzosen waren 1792 vor der Revolution ins dänische Altona geflohen, da die Stadt den Ruf hatte, besonders liberal zu sein: Bereits 1603 war der Zunftzwang abgeschafft worden, und die damit verbundene Gewerbefreiheit ermöglichte es dem Militäradjutanten Rainville, sich als ungelernter Gastronom eine neue Existenz aufzubauen.

Zudem galt seit 1601 die Religionsfreiheit, weshalb verfolgte Juden, Quäker und Mennoniten aus ganz Europa nach Altona emigrierten. Allein in der Großen und der Kleinen Freiheit hatten vier verschiedene Konfessionen ihre Kirchen.

Die katholische Gemeinde feierte die Messe seit 1721 in diesem eindrucksvollen Barockbau, der dem österreichischen Baumeister Melchior Tatz zugeschrieben wird. Mit ihrem italienisch-süddeutsch geprägten Barockstil ist die Kirche im gesamten nordelbischen Raum einzigartig.

Ob die sterblichen Überreste des César Rainville hier geblieben sind, ist schwer zu sagen – Kirchenschiff und Katakomben wurden 1943/44 von Luftminen zerstört. Nur die Fassade blieb stehen, was dazu führte, dass die Kirche nicht wie ursprünglich geplant weit ab vom Rotlichtviertel, sondern von 1953-56 an der alten Stelle wieder aufgebaut wurde. Erst 2008 wurde die nach dem Krieg zugemauerte Krypta wieder freigelegt und kann mittlerweile besichtigt werden. Die Gebeine von rund 350 Menschen wurden geborgen und im November 2015 im neu eingesegneten Beinhaus beigesetzt.

Die katholische Kirche St. Joseph ist seit 1721 durchgehend in der Großen Freiheit 43 geblieben und der älteste sichtbare Zeuge jener Religionsfreiheit, die der Straße schon 1610 ihren Namen verlieh.

 

Quellen, Literatur, Onlineressourcen:

St. Joseph Altona 1594-1994. Festschrift, Hamburg, 1994.
Monika Sendker: Denke daran, dass du stirbst! In: Neue Kirchenzeitung, 4.11.2015. www.neue-kirchenzeitung.de, Zugriff am 11.07.2016.
Ralf Starke: Archäologische Ausgrabungen im Pestalozzi-Quartier. In: Quartiersnachrichten St. Pauli. Nr. 63, Juni 2013. S. 10f.
Edgar S. Hasse: In der Gruft von St. Joseph hat sogar der Tod ein Gesicht. In: Hamburger Abendblatt, 22.10.2015. www.abendblatt.de, Zugriff am 11.07.2016.
Bärbel Hedinger: Rainvilles Fest. Ein französischer Lustgarten im dänischen Altona. Hamburg, 1994.
Homepage der Gemeinde St. Joseph:www.st-joseph-altona.de, Zugriff am 11.07.2016.

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